Deutschlandfunk Köln, 28.01.2001, Die Sonntagskolumne

Unwörter und Untaten. Unwort des Jahres

von Konrad Weiß

Alljährlich wird im Januar das Unwort des Jahres bekannt gegeben. Auch diesmal hatte die unabhängige Jury wieder zahlreiche Vorschläge erhalten. Die meisten Einsender wollten den Begriff der Leitkultur getadelt wissen. Als andere Anwärter wurden das "Separatorenfleisch" genannt oder jenes "Dreck weg!", mit dem die Darmstädter CDU nicht die Müllbeseitigung, sondern Menschen bezeichnet hatte. Zum Unwort des Jahres 2000 aber wurde ein Begriff aus dem rechtsradikalen Vokabular gewählt: "national befreite Zone". Das meint Gebiete und Orte, aus denen rechte Schläger die ausländischen Mitbürger vertrieben haben und versuchen, die übrigen Bewohner einzuschüchtern und zu terrorisieren.

Mit anderen Worten: Da wird unterstellt, daß es in Deutschland Orte gäbe, an denen das Grundgesetz nicht gilt, sondern ein nationalistisches Terrorregime. Daß es Orte gäbe, in denen nicht wir, die Bürgerinnen und Bürger, der Souverän sind, sondern wo ein Haufen brutaler Feiglinge die Machtergreifung probt. "National befreite Zone", das ist ein Begriff, den kein Demokrat und kein Patriot dulden kann. Es ist richtig, daß die Sprachwächter ihn zum Unwort erklärt haben und so darauf aufmerksam machen, welcher Ungeist sich in Deutschland wieder ausbreitet. Denn es geht bei diesem Begriff nicht bloß um politische Korrektheit oder politische Kultur. Es geht um mehr: um die Grundlagen unserer Demokratie. Gewalttätige Worte waren schon immer die Vorboten gewalttätiger Regime.

Es ist bezeichnend, daß die PDS in einer ersten Reaktion das Unwort zwar zynisch und seine Schöpfer menschenverachtend nannte, zugleich aber erklärte, nicht das Wort sei das Problem, sondern die Realität. - Worte sind Realität, und wer sich mit der Entstehung der totalitären Regime befaßt hat, weiß, daß den Untaten immer Unwörter vorausgegangen sind. Victor Klemperer hat im LTI, der Sprache des Dritten Reiches, beweiskräftiges Material zusammengetragen, und er hat später kritische Anmerkungen zur Sprache der anderen deutschen Diktatur gemacht. Dem achtsamen Zuhörer offenbart die Sprache der PDS, daß auch in dieser Partei noch manches aus der totalitären Vergangenheit fortlebt.

Zum Beispiel, wenn es heißt, die Partei wolle Systemopposition sein. Das jedenfalls erklärte der stellvertretende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, kaum daß er im Amt war. Auch auf Parteitagen ist das zu hören. Die PDS stellt sich damit in eine fragwürdige Nachbarschaft. System, das war bei den Nationalsozialisten ein Kampfbegriff, mit dem sie den demokratischen Staat angreifen und verächtlich machen wollten. Victor Klemperer hat dem im LTI ein ganzes Kapitel gewidmet. Es ist auch für den heutigen Nationalsozialismus ein Kernbegriff. Kaum ein anderes Unwort wird in den Schriften der Rechtsradikalen so häufig variiert und gebraucht.

Da ist zum Beispiel vom "grundlegenden Systemwechsel" die Rede oder von der "Systemüberwindung". Das politische System der BRD sei das Grundübel der deutschen Gegenwart. Es sei nicht die Frage, ob dieses System untergeht, sondern wann es untergeht. Man wolle es ersatzlos vernichten. "Jeder der uns wählt", so tönte es 1999 auf einer NPD-Veranstaltung, "ist ein Stachel im Fleische des Systems, mehrere Stacheln ergeben einen Speer, der den Todesstoß gegen das System führt." Mit dem System, wie gesagt, ist unsere Demokratie gemeint. Und die für sie einstehen, das sind in der Sprache der neuen Braunen "Systemlinge" - die "Systempolitiker", die "Systempresse", die "Systemparteien". Es ist dieselbe Sprache, die schon einmal das Unheil in Deutschland angekündigt hat. Es sind Unwörter, die zu Untaten wurden.

Das Schlimme ist, daß das braune Kader-Welsch sich auszubreiten droht. Es ist nicht mehr nur das Idiom hirnloser Schläger oder verkniffener Schreiberlinge. Es beginnt, in unsere Alltagssprache einzudringen. Immer mehr junge Leute halten das braune Geschwätz für normal. Und gehen den Verführern auf den Leim, die ihnen zum Beispiel einreden, das allgemeine Wahlrecht und die Volkssouveränität seien absurde Theorien, die Demokratie ein überlebtes System. Ein System, das zwangsläufig von totalitären Auffassungen überwunden werde.

Es ist höchste Zeit, daß wir uns entschiedener gegen die Mißachtung unserer Demokratie und die Verseuchung unserer deutschen Muttersprache wehren. Das Anprangern von Unwörtern ist dabei hilfreich. Einen Kandidaten für das nächste Unwort des Jahres habe ich schon. Im Internet stieß ich jüngst auf ein unglaublich infames Begriffspaar: Inländerfeinde und Volksfreunde. Mit letzterem meinen die Rechtsextremisten sich selbst. Mit Inländerfeind aber alle, die in diesem Land für Menschlichkeit und Menschenrecht eintreten. Ich hoffe, daß wir noch immer die Mehrheit in Deutschland sind.

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