7. September 2018

Offener Brief zum Berliner DAU Projekt

von Konrad Weiß


Sehr geehrte Frau Staatsministerin Grütters,
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Müller,

verschiedenen Pressemeldungen war zu entnehmen, daß Sie das Projekt des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky unterstützen, im Herzen von Berlin temporär eine Mauer zu errichten. Den nunmehr öffentlich zugänglichen Unterlagen ist jedenfalls zu entnehmen, daß die Berliner Festspiele GmbH, die vom Bund und vom Land Berlin gefördert wird, zu den Veranstalter zählen soll.

Der Gedanke, daß ein Stück Berlin neuerlich von einer Mauer geschändet wird, und sei es auch nur für einige Tage, ist für mich unerträglich. Ich denke, daß dies viele, die in der DDR oder in Ostberlin gelebt haben, so empfinden werden. Allein die Vorstellung, an der Staatsoper, gegenüber der Hedwigskathedrale oder Unter den Linden - mitten im freiheitlichen Berlin - Wachtürme und Beton und Grenzposten sehen zu müssen, läßt bitterste Erinnerungen und Gefühle wach werden. Das sollte uns niemand antun.

Versuchen Sie sich doch bitte in die Gefühle jener zu versetzen, die jahrzehntelang von dieser Mauer eingesperrt gelebt haben oder den Versuch, ihr zu entkommen, bitter bezahlt haben. Oder deren Angehörige oder Freunde an der Mauer ermordet wurden. Den Schrecken der Mauer werden Nachgeborene oder Menschen, die nicht hier gelebt haben, nie wirklich nachvollziehen können, auch nicht durch dieses Spektakel, daß Herr Khrzhanovsky und seine russischen Geldgeber uns aufdrängen wollen.

Dieses Projekt ist keine künstlerische Provokation, sondern banalisiert die kommunistischen Verbrechen, auch die der ehemaligen Sowjetunion in Ostberlin und in der DDR. Und es versucht, den heroischen Fall der Mauer, diesen großartigen Moment der deutschern Geschichte, beliebig zu machen und zu entwerten. Was soll dieser alberne nachgespielte Mauerfall, was sollen die "Mauerspechte" an dieser Theaterkulisse, auch wenn sie aus Beton ist.

Was soll diese gigantische Zelebrierung des Bösen.

Die Unternehmungen von Herrn Khrzhanovsky tendieren dazu, Menschen völlig zu vereinnahmen und für seine Zwecke gefügig zu machen. Welche neuen Erkenntnisse über den Menschen, seine Ängste und Schwächen, soll dieses Sozialexperiment, daß er "DAU Freiheit" nennt, denn tatsächlich bringen? Natürlich wird es Menschen geben, die sich ein "Visum" für sein Mauerland kaufen und sich für alles nur Denkbare gebrauchen und benutzen lassen. Aber sie werden die Schrecken einer Diktatur dennoch nicht nachvollziehen können. Sie werden auch den Wert unserer Demokratie nicht neu erfahren und neu schätzen lernen.

Bitte bedenken Sie: Wenn Sie Ilya Khrzhanovskys Projekt zulassen, würden Sie zulassen, daß mitten in Berlin eine No-Go-Area geschaffen wird, in der nach dem Willen der russischen Projektanten das Grundgesetz nicht oder nur noch bedingt gilt. Sie würden es zulassen, daß mitten in Berlin nach den Regeln einer fremden Macht gelebt und verfahren würde, und daß, unter dem Deckmantel der Kunst, demokratisch gewählte und legitimierte Institutionen nur noch bedingt handlungsfähig wären. Sie würden hoheitliches Recht und Handeln auf einem Stück Deutschland, einem Stück Berlin aus der Hand geben.

Sie würden es zulassen, daß Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gezwungen würden, beim Besuch von DAU persönliche Daten preiszugeben, ihr Mobiltelefon auszuhändigen und so gezwungen würden, ohne Kontakt nach außen zu sein. Sie müßten sich statt dessen einer anonymen Macht, einem "Device" ausliefern, von dem niemand weiß, welcher Algorithmus oder vielmehr, welche Macht dahinter steckt. Eine solche totale Isolierung, eine solche Funkstille mitten im Zentrum von Berlin wäre eine unverantwortliche Beschränkung bürgerlicher Freiheit.

Ich habe seinerzeit als Mitglied des Deutschen Bundestages Christos Reichstagsverhüllung aus ganzem Herzen unterstützt, weil sein Werk einen neuen Blick auf die deutsche Geschichte ermöglicht und eine neue Dimension in der politischen Debatte eröffnet hat. Das Projekt von Khrzhanovsky hingegen ist destruktiv und demagogisch. Es wird unserem Land nicht dienen, sondern schaden.

Ich bitte Sie, die Umsetzung des Projektes in Berlin nicht zuzulassen.


© Konrad Weiß 2018-2024