Wahltagebuch
Ein Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung 2005

Wahl-lose Sprüche

von Konrad Weiß


Wählerwanderung
Manche verwechseln die Politik mit der Ehe und wählen immer die gleiche Partei, egal, wieviel Unsinn die verzapft.
Eine lebendige Demokratie braucht untreue Wähler.

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Koalitionen
Je ähnlicher sich die Parteien werden, desto mehr betonen sie die Unterschiede.
Dennoch bleibt dem Wähler am Ende keine Alternative: Was er auch wählt, er wählt immer eine Koalition.

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Parolenklau
Manche bedienen sich, weil sie keine eigenen Ideen haben, bei den Parolen der anderen.
Und wundern sich, wenn sie mit denen verwechselt werden.

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Nichtwähler
Wählen ist das Vorrecht des Souveräns.
Wer sein Wahlrecht nicht wahrnimmt, macht sich selbst zum Untertan.

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Wahlprüfsteine
Eine Partei sollte man nicht daran messen, was sie für die Zukunft verspricht, sondern an dem, was sie in der Vergangenheit eingehalten hat.
Das Programm vom letztenmal ist der beste Wahlprüfstein.

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Wahlmoral
Wer seine Wähler ernst nimmt, belügt sie nicht und macht keine uneinlösbaren Versprechungen.
Es ist unanständig, unerfüllbare Hoffnungen zu wecken, nur um sich und der eigenen Partei Macht und Wohlstand zu sichern.

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Wahlkampf
Man sollte den Wahlkampf nicht vor der Wahl führen, sondern danach - Tag für Tag, bis zur nächsten Wahl.

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Ermächtigung
Bertold Brecht hatte nach dem Volksaufstand 1953 der DDR-Regierung empfohlen, das Volk aufzulösen und sich ein neues zu wählen.
Noch ungestörter ließe sich regieren, schaffte man das Volk ganz ab.

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Dumme Wähler
Natürlich gibt es dumme Wähler, das muß man doch sagen dürfen.
Die Millionen Deutschen, die 1932 die NSDAP gewählt haben, waren irregeleitet und dumm.
Nicht anders jene, die heute noch immer den Lügen von gestern glauben und AfD oder Linkspartei wählen.
Man kann sie ob ihrer Dummheit gar nicht laut genug beschimpfen.

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Es sieht ja keiner
Als sie noch in Sack und Asche gingen, lockten sie ihre Wähler mit dem Slogan Es sieht ja keiner in die Wahlkabine.
Heute reden die "demokratischen Sozialisten" den Leuten ein, die Bundestagswahl sei ein Referendum für oder gegen sie.
Was Demokratie ist, haben sie noch immer nicht begriffen.

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Talkmaster
Noch lästiger als unfähige Politiker sind dumme Talkmaster,
die mit unübersehbar moralischer Attitüde ihre politischen Gäste befragen und sich für die besseren Politiker halten.
Sie verderben einem regelmäßig den Sonntagabend.

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Majestätsbeleidigung
Natürlich gibt es dumme Wähler. Weil aber das Volk der Souverän ist,
wird auch die schüchternste Kritik an ihm sogleich als Majestätsbeleidigung aufgefaßt und getadelt.

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Demokratie
Wie die Wahlen auch ausgehen, es ist keine Katastrophe.
Eine Katastrophe wäre es, könnten wir nicht mehr zur Wahl gehen.

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