Deutschlandfunk, Die Sonntagskolumne, 11. Februar 2007

Der Rechtsstaat als Rechtbrecher?

Die Online-Durchsuchung von Computern verletzt die Bürgerrechte

von Konrad Weiß

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß die verdeckte, also heimliche Online-Durchsuchung von Computern unzulässig ist. Der Generalbundesanwalt hatte Beschwerde eingelegt, weil ein Ermittlungsrichter den Behörden nicht genehmigt hatte, über das Internet in den Computer eines Verdächtigen einzudringen und auf die dort abgelegten Daten zuzugreifen. Die obersten Richter stellten nun klar, daß dem Staat das heimliche Durchschnüffeln fremder Computer ebenso verboten ist wie das fremder Wohnungen. Die Grundsätze unseres Rechtsstaates verlangen, daß der Staat die Privatsphäre seiner Bürgerinnen und Bürger unbedingt respektiert, auch dann, wenn sie eines Verbrechens verdächtigt werden. So sollen bei einer Hausdurchsuchung möglichst der Beschuldigte selbst oder unabhängige Zeugen anwesend sein. Das Verbot verdeckter Ermittlungen, so die Bundesrichter, gelte auch für das Internet.

Dieses Urteil des Bundesgerichtshofes hat ein weiteres Mal offenbart, wie weit die Begehrlichkeiten der Sicherheitsbehörden gehen. In der DDR war es alltägliche Praxis, daß der Staatssicherheitsdienst heimlich Wohnungen durchsucht, Telefongespräche abgehört und Briefe geöffnet hat. Manchem meiner Freunde ist es passiert, daß er zur "Klärung eines Sachverhaltes" zur Volkspolizei oder sonst einer Behörde bestellt und dort aufgehalten wurde, währenddessen die Stasileute die Wohnung durchsuchten. Nur, die DDR war ein totalitäres Regime. Die Bundesrepublik aber will ein Rechtsstaat sein. Aber was ist ein Rechtsstaat wert, der die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger permanent verletzt? Der Staat als Hacker, der in persönliche Dateien, Daten und Aufzeichnungen eindringt? In einem Internetforum nannte das jemand völlig zu Recht einen "virtuellen Hausfriedensbruch".

Bei den verdeckten Online-Durchsuchungen muß, wie seit dem 11. September üblich, die Terrorgefahr, und neuerdings nun auch die Kinderpornographie zur Begründung herhalten. Keine Frage, der Staat trägt eine hohe Verantwortung, seine Bürger zu schützen. Aber er darf sie nicht schützen, indem er das Recht beugt. Derweil wiegelt der Bundesinnenminister ab, die meisten Menschen seien über Terrorismus und Kriminalität beunruhigt, nicht über polizeiliche Schutzmaßnahmen. Das mag sogar stimmen. Aber es kann das hemmungslose Eindringen in unsere Privatsphäre dennoch nicht rechtfertigen. Die Sicherheit des Staates ist kein höheres Gut als die Freiheit seiner Bürger.

Natürlich mag es für Polizei und Verfassungsschutz bequem sein, über das Internet auf unsere heimischen Computer zuzugreifen und uns, mit oder ohne Verdacht, auszuforschen. Die technischen Möglichkeiten dafür sind längst geschaffen; der "Bundes-Trojaner", wie der Chaos Computer Club die Schnüffelsoftware spöttisch nennt, bereits in Auftrag gegeben. Private Internetnutzer würden sich gegen staatliche Hackerangriffe kaum wehren können. Sie müßten es hinnehmen, daß ihre intimsten Aufzeichnungen, Briefe und Tagebücher mitgelesen oder ihre gesundheitlichen, familiären und finanziellen Verhältnisse ausgeforscht werden. Technisch wäre es auch möglich, Daten zu verändern und zu manipulieren oder belastendes Material zu hinterlegen. Was technisch möglich ist, so lehrt doch die Erfahrung, wird irgendwann auch gemacht, und sei es von ehrgeizigen Beamten, die auf diese Weise ihre Erfolgsquote hochschrauben möchten. Kriminelle und Terroristen aber werden sich zu schützen wissen, sie verfügen fraglos über die Mittel, die Staats-Trojaner von ihren Computern fernzuhalten.

In Internetforen meinen manche, sie würde die Staatsschnüffelei nicht stören, sie hätten doch nichts zu verbergen. Aber darum geht es nicht. Es geht um unser aller Recht, unsere Freiheit, um den Bestand Deutschlands als Rechtsstaat. Die maßlosen Angriffe des Staates auf die Bürgerrechte, wie sie besonders nach dem 11. September erfolgt sind, sind längst bedrohlich geworden. Mit einem Gesetz, das die verdeckte Online-Durchsuchung legitimierte, und sei es unter Auflagen und Vorbehalten, würde ein weiteres Mal ein Grundrecht aufgegeben. Wolfgang Schäuble erklärte bereits, die Sicherheitsfachleute würden gegenwärtig den ermittlungstaktischen Bedarf melden, danach würde das Gesetz formuliert. Wie ein derart "bedarfsorientiertes" Gesetz aussehen würde, läßt sich denken.

Zu diesem Gesetz darf es nicht kommen. Es gibt nur einen wirksamen Schutz für unsere heimischen Computer, hier zitiere ich gern noch einmal die Spezialisten vom Chaos Computer Club, das ist die "klare politische Absage an derartige Stasi-Methoden".

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