Deutschlandfunk, Die Sonntagskolumne, 13. April 2008

Gold für die Menschenrechte

Die Olympischen Spiele in Peking 2008 (und leider auch wieder 2022)



von Konrad Weiß

Natürlich war es ein Fehler, die Olympischen Spiele 2008 an Peking zu vergeben. Daß China sich nicht binnen weniger Jahre zur Demokratie wandeln würde, war auch vor sieben Jahren schon absehbar. Damals befand die Evaluierungs-Kommission des Internationalen Olympischen Komitees, das kommunistische Regime sei, so wörtlich, "funktionsfähig für China". Die allgemeine Präsenz starker Kontrolle und Unterstützung durch die Regierung sei gesund. Das war schon damals nicht nur eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, sondern die unverantwortliche Verharmlosung eines totalitären Regimes.

Die Konsequenzen haben nun die Sportler zu tragen, die zu unfriedlichen Spielen in ein Land fahren müssen, das nicht nur einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, sondern auch andere Völker gewaltsam unterdrückt. Die jüngsten Ereignisse in Tibet haben die Erinnerung an das Tiananmen-Massaker vom Juni 1989 geweckt, mit dem die chinesische Führung die Demokratiebewegung blutig zerschlagen hat. Etwa 3000 Bürgerrechtler wurden damals ermordet. Bis heute erinnert in Peking kein Denkmal an sie. Vielmehr werden noch immer alle, die eine Aufklärung des Verbrechens und die Bestrafung der Täter fordern, verhaftet und verfolgt.

Daß die chinesischen Kommunisten keine Skrupel hatten, das olympische Feuer ausgerechnet an diesem Ort zu empfangen, zeugt von ihrer Unfähigkeit zur Schuld und ihrer tiefen Verachtung der Menschenrechte. Sie mögen zwar unter internationalem Druck das eine oder andere Zugeständnis gemacht haben, tatsächlich aber hat sich in China kaum etwas geändert. Das belegt auch der Bericht von Amnesty International, wonach die Verletzung von Menschenrechten dort nach wie vor zum Alltag gehört. Nach wie vor wird jede Form von Opposition drakonisch unterdrückt. Vielfach werden Kritiker ohne Gerichtsverfahren und Urteil inhaftiert. Folter und Umerziehung durch Arbeit sind an der Tagesordnung. Jahr für Jahr werden in der Volksrepublik mehr Menschen hingerichtet als in allen anderen Ländern der Erde zusammen.

Besonders betroffen von den Repressalien sind nationale Minderheiten, wie die Uiguren oder die Tibeter. In einem Offenen Brief haben 30 chinesische Intellektuelle die Regierung aufgefordert, ihre Tibet-Politik zu überdenken. Mutig weisen sie die Haßtiraden der Führung zurück, die den Dalai Lama als "Betrüger in Mönchsrobe" diffamiert und ihn, so wörtlich, "einen bösen Geist mit menschlichem Gesicht und dem Herzen einer Bestie" genannt hat. Dies sei ein Rückfall in die Sprache der Kulturrevolution. Sie hingegen unterstützten dringend die Bitte des Dalai Lama um Frieden und seine Suche nach einer gewaltfreien Lösung.

Warum, so frage ich mich, fehlt westlichen Politikern, Wirtschaftsleuten und Sportfunktionären die Zivilcourage, gleichermaßen Klartext zu reden. Anders als die chinesischen Oppositionellen riskierten sie dabei nichts. Geradezu beschämend finde ich die feigen Ausreden des deutschen IOC-Vizepräsidenten und Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach. Er möchte am liebsten den deutschen Sportlern in Peking den Mund verbieten. In einem Interview meinte er sophistisch, jeder Athlet könne sich frei äußern, die olympischen Stätten aber müßten frei von jeder politischen Betätigung sein. Er lehnte eine Verurteilung Chinas ab, gefiel sich zugleich aber in antiamerikanischen Ausfällen.

Also sollen die Sportler ihre Menschenwürde an den Stadiontoren abgeben? Sollen bei Strafe des Ausschlusses zum Unrecht schweigen? Also sind Medaillen wichtiger als die Menschenrechte? Oder geht es dem IOC-Vizepräsidenten in Wahrheit um etwas ganz anderes – vielleicht um das prosperierende China-Geschäft des Unternehmens, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er ist? Oder möchte er sich mächtige Freunde machen, die ihn im nächsten Jahr zum IOC-Präsidenten wählen? Solche Fragen drängen sich jedenfalls angesichts seines seltsamen Verhaltens auf...

Die Athleten, die nach Peking fahren, sollten nicht den Winkelzügen der Sportfunktionäre trauen, sondern geradlinig ihrem Gewissen folgen. Das Grundgesetz garantiert ihnen Meinungsfreiheit, die kann ihnen auch das IOC nicht verbieten. Amnesty International hat vorgeschlagen, Armbänder mit der Aufschrift Gold für Menschenrechte zu tragen. Das wäre ein klares, wenn auch bescheidenes Signal. Andere sind denkbar: Eine Kranzniederlegung auf dem Platz des himmlischen Friedens; die tibetische Fahne beim Stadtbummel um die Schulter; das Bild des Dalai Lama bei der Siegerehrung - Gesten, die von Chinas Bevölkerung gesehen und verstanden werden und die ein deutliches Zeichen der Solidarität mit den Bürgerrechtlern sind. Solche Zivilcourage wäre ehrenvoller als jede Medaille.

© Konrad Weiß 2008-2024