Einführungsvortrag zur Podiumsdiskussion "Der MDR, die Stasi und die Medien",
veranstaltet vom Bürgerkomitee Leipzig am 7. Februar 2001

Neue Medien mit den alten Leuten?

von Konrad Weiß

Erinnern wir uns: Zur friedlichen Revolution des Jahres 1989 gehörte eine Medienlandschaft, die von einem Tag auf den anderen völlig verändert war. Aus drögen und politisch gleichgeschalteten Verlautbarungsorganen waren lebendige Zeitungen und ein informativer Rundfunk geworden. Die Hörer und Zuschauer in der DDR wandten sich wieder den eigenen Medien zu und traten in den lebendigen Dialog mit ihnen. In tausenden Zuschriften wurden Gedanken und Ideen geäußert.

Der Aufbruch in der Gesellschaft und die Befreiung des Landes waren untrennbar mit dem Aufbruch der Medien und der Befreiung der Medienmacher verbunden. Pressefreiheit und Abschaffung der Zensur wurde von allen Gruppen, die an der Demokratisierung beteiligt waren, gefordert - auch von den Altparteien, die bis dahin jegliche freie Meinungsäußerung durch ihre Organe unterdrückt hatten. Für alle, die in den Medien beschäftigt waren, bot sich endlich die Möglichkeit, von der viele lange geträumt und für die einige gekämpft hatten: nämlich die eigene Meinung ungehindert zu sagen und zu veröffentlichen und unzensiert über die Wirklichkeit zu berichten. Für mich war es erstaunlich, wieviel Kreativität, Witz und Biß da gewissermaßen über Nacht lebendig geworden sind. Und wie kritisch, selbstkritisch sich Journalisten mit dem, was sie bis dahin gemacht hatten, auseinandergesetzt haben.

Der Wille zum gemeinsamen Neuanfang war unüberhörbar und unübersehbar. In den Redaktionen, Verlagen und Sendern begann man, sich mit der eigenen Vergangenheit, der eigenen Arbeit auseinanderzusetzen. Chefredakteure, bislang von der Einheitspartei nach den Kriterien des Gehorsams und der Anpassungswilligkeit bestimmt, wurden nun von den Redaktionskollektiven, wie das damals noch hieß, gewählt, zumindest kommissarisch. Mitarbeiter, deren Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst offenbar wurde, verschwanden entweder aus eigenem Antrieb aus den Redaktionen, oder aber sie wurden an Stellen gesetzt, wo man hoffte, sie würden ihre schäbiges Treiben nicht fortsetzen können. Die Bereitschaft, sich menschlich und politisch mit ihnen auseinanderzusetzen, war groß. Und auch die Bereitschaft zur Versöhnung war groß - da dies aber ein Schuldbekenntnis derjenigen, die bespitzelt und verraten hatten, voraussetzte, ist das wohl eher die Ausnahme geblieben. (...)

Ich kann hier nicht, auch wenn es eigentlich notwendig wäre, auf die rasante und radikale Neuordnung der Medienlandschaft der DDR und dann der ostdeutschen Bundesländer eingehen. Ich will nur eines feststellen: Die Schaffung öffentlich-rechtlicher und privater Strukturen war von Anfang an gewollt, wobei die Bürgerrechtsbewegung insbesondere Wert auf Medienvielfalt gelegt hat. Die rabiate Durchsetzung kommerzieller Interessen, die brutalen Diktate der Geschäftemacher, die wir dann erlebt haben, hätte ich so nie für möglich gehalten - das gebe ich gern zu - und auch nicht die sonderbaren Allianzen zwischen eben noch treuen Genossen und immer schon knallharten Kapitalisten. Ich glaube, damals ist nicht nur vieles aufgebaut, sondern auch viel kaputtgemacht worden. Auch das ist ein Aspekt unseres heutigen Problems.

Das, was aufgebaut worden ist, konnte und sollte nicht ohne uns, die Medienmacher aus der DDR, aufgebaut werden. Die neuen Medien konnten nicht ohne die alten Leute auskommen. Das war auch der Opposition von Anfang an klar, und auch deshalb haben wir damals am Runden Tisch den Medienkontrollrat eingerichtet. Vielleicht aber waren wir nicht nur zu gutgläubig, sondern auch zu zaghaft und haben zu wenig der eigenen Kraft vertraut. Ich bin damals gefragt worden, ob ich die Funktion, die dann Herr Mühlfenzl ausgeübt hat, übernehme - also die Abwicklung des DDR-Rundfunks. Ich habe mir das nicht zugetraut und habe wohl auch die Verantwortung und die vorhersehbaren menschlichen Konflikte gescheut. Kaum jemand von uns war damals bereit, die Verantwortung für einen Sender, eine Redaktion zu übernehmen. Es wäre aber notwendig gewesen, denn wir kannten die Menschen und wir kannten das System. Und das wäre in jenem Prozeß wichtiger und entscheidender gewesen als das juristische Wissen und die verwaltungstechnische Erfahrung, die uns natürlich fehlten.

Denen, die dann die neuen Medien aufgebaut haben, fehlte etwas entscheidendes: die politische Kompetenz. Und so führen wir heute auch keine Debatte über juristische oder moralische Versäumnisse, sondern über politische. Das ist mir gerade im Zusammenhang mit dem MDR überdeutlich geworden. Am 6. Februar 2001 hat der Intendant des MDR in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dazu Stellung genommen, und ich gehe davon aus, daß dies eine authentische und durchdachte Stellungnahme ist. Udo Reiter hat nicht ein Wort zu seiner politischen Verantwortung gesagt. Er setzt vielmehr sich ausführlich mit juristischen und arbeitsrechtlichen Fragen auseinander, die heute unbestritten ohne Relevanz sind. Er spricht über die moralische Dimension, für die er, wie seine Ausführungen auch belegen, ohne Kompetenz ist. Das hat er im übrigen selbst eingeräumt, wenn ich das, womit er in der F.A.Z. vom 30. Oktober 2000 zitiert wird, richtig interpretiere - daß er als "Westintendant", der die Sachlage zwangsläufig nur aus zweiter Hand kenne, nicht über Mitarbeiter habe entscheiden wollen.

Er habe daher den Rundfunkrat gebeten, einen Personalausschuß einzusetzen, der belastete Mitarbeiter überprüft, und er habe sich in jedem Fall an dessen Empfehlung gehalten. Das klingt zwar ehrenhaft, war aber politisch leichtfertig - zumal dieser Ausschuß offenbar auch politisch leichtfertig und verantwortungslos vorgegangen ist. Ich zweifle nicht daran, daß die Ausschußmitglieder sich in jedem Fall um eine angemessene menschliche und moralische Wertung bemüht und diese auch getroffen haben. Aber es empört mich, wenn der ehemalige Ausschußvorsitzende Horst Greim laut F.A.Z. vom 30. Oktober 2000 erklärt, daß es für die Öffentlichkeit genüge, wenn sie weiß, daß diese Fragen - also die Stasi-Tätigkeit von Rundfunkmitarbeitern - geprüft worden sei. Es genügt für die Öffentlichkeit! Ich finde diese Einstellung, die sich offensichtlich auch der Intendant zu eigen gemacht hat, nicht nur unverantwortlich, sie ist auch ein Verrat an den Zielen und am Geist der friedlichen Revolution, an der Demokratisierung in Ostdeutschland. Die Öffentlichkeit, also wir, das Volk, um es mit den Worten von damals zu sagen, haben einen Anspruch darauf zu wissen, wem wir zuhören und zuschauen und wessen Meinung wir lesen. Dies darf uns niemand selbstherrlich vorenthalten.

Um es ganz eindeutig zu sagen: Ich meine durchaus, daß auch frühere offizielle oder inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR einen Platz in unseren demokratischen Medien haben können und haben sollen, auch einen verantwortlichen. Aber das setzt zweierlei voraus: die innere Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld, und das Bekenntnis dieser Schuld gegenüber denen, die davon betroffen sind. Das sind selbstverständlich die Kollegen am Arbeitsplatz, und das ist bei einem Journalisten selbstverständlich die Öffentlichkeit. Ich muß als Hörer und Zuschauer doch wissen, mit wem ich es zu tun habe, und ich muß ihm vertrauen können. Dieses Vertrauen ist, wie ich finde, nachhaltig und schwerwiegend verletzt, wenn jemand über zehn Jahre hin seine Dienste für den Staatssicherheitsdienst verschweigt, ohne Not verschweigt.

Es gibt viele Gründe, weshalb jemand für das MfS gearbeitet hat, das weiß jeder, der hier im Land gelebt hat: Erpressung, Feigheit, Idealismus, Dummheit, Karrieregeilheit. Es sind Gründe, die nicht zu rechtfertigen, aber menschlich sind. Es geht nicht um eine moralische Verurteilung und auch nicht um einen Pawlowschen IM-Reflex, wie Friedrich Schorlemmer im Kultur-Café des MDR am 05. Dezember 2000 schwätzte. Im übrigen kenne ich viele, die sich 1990 zu ihrer Spitzelei bekannt haben und keinerlei dauernde Nachteile erlitten habe. Ihnen ist verziehen worden, auch von denen, die sie verraten haben. Viele haben sich aktiv in die Demokratisierung unseres Landes und in die Bearbeitung der Vergangenheit eingebracht.

Aber warum haben andere geschwiegen? Warum ließ man sie schweigen? Auch das wieder ist zuerst eine politische Frage. Wenn ich etwas in der DDR gelernt habe, dann dies: die Marxisten ernst zu nehmen. Ich weiß, daß für sie mit dem Untergang der DDR der totale Anspruch auf andere Menschen, ihr totaler Machtwille nicht erloschen ist. Ich weiß, daß für sie das "Wer wen?" und das "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" weiter gilt. Und daß sie nur die Taktik und Strategie geändert haben, aber nicht das Ziel. Es wäre in hohem Maße leichtfertig und naiv anzunehmen, daß sich der Staatssicherheitsdienst und die Kommunisten ohne ein Konzept zum Überwintern verabschiedet haben. Und daß es nicht zur geänderten Strategie gehörte und gehört, die eigenen Leute in Schlüsselstellungen zu bringen und zu halten. Ohne hier einer Verschwörungstheorie das Wort reden zu wollen, meine ich doch, daß ehemalige Mitarbeiter, die sich nicht offenbaren, in hohem Maße verdächtig sind, noch immer abhängig zu sein und einem operativen Auftrag zu folgen - mindestens aber einem inneren. (...)

Das Fatale ist, daß unter dem Deckmantel eines freien und unabhängigen Journalismus Meinungen gemacht, Stimmungen angeheizt und gegen den demokratischen Staat gehetzt wurde und wird. Die Manipulation mag oft geschickter und mehr verdeckt gehandhabt werden, zum Beispiel auch dadurch, daß Politiker einer bestimmten Partei bevorzugt werden. Kein anderer Politiker war in den ostdeutschen Medien so präsent wie Gregor Gysi. Die Erfolge der PDS in Ostdeutschland sind ganz ohne Zweifel auch auf dem Mist höriger und immer noch abhängiger Journalisten gewachsen. Sie nutzen die Meinungsfreiheit, die wir, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erkämpft haben, schamlos aus. Ich denke, wir tun gut daran, niemanden zu trauen, der seine Herkunft und Abhängigkeit bis heute verbirgt oder verschleiert. Sie alle hatten in der friedlichen Revolution ihre Chance; sie haben sie vertan. Sie haben nun die Konsequenzen zu tragen. Es wäre unverantwortlich und würde zur Gefahr für unsere Demokratie, wenn wir sie weiter wie bisher gewähren ließen. Hier ist politische Verantwortung gefragt, auch die politische Verantwortung des MDR-Intendanten.

Der Beitrag ist geringfügig gekürzt
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