Deutschlandfunk, Die Sonntagskolumne, 03.06.2007

Die Globalisierung - eine Schimäre?

Es gibt keine vernünftige Alternative zur Globalisierung

von Konrad Weiß

Das Wort hat eine rasante Karriere hingelegt. Vor 20 Jahren sprach niemand von Globalisierung. Selbst der wiedervereinigte Duden von 1991 kennt es noch nicht. Dabei bezeichnet es eine uralte Sache. Schon immer waren Menschen bestrebt, die Zäune des eigenen Dorfes hinter sich zu lassen, den eigenen Horizont zu weiten und in die Welt zu gehen. In dem Sinne waren Alexander der Große oder Dschingis Khan, Kolumbus oder Mohammed Globalisierer, auch wenn sie sich die Welt gewaltsam angeeignet und unter Mißachtung des Vorgefundenen verändert haben. Es gibt viele Synonyme für Globalisierung: Eroberung, Entdeckung, Mission.

Ursprünglich meinte der Begriff ausschließlich die wirtschaftliche Internationalisierung, dann die Vernetzung durch die neuen Informationstechnologien. Dann wurde er zum politischen Kampfbegriff, und scheint sich neuerdings zur Ideologie aufzublähen. Gegner wie Befürworter neigen zunehmend zur Dogmatisierung und Mythenbildung, zur Überhöhung ihres Idealbildes und damit zum Realitätsverlust. Zuweilen geschieht das so unbedingt und fanatisch, daß sich unschwer Merkmale des Totalitären ausmachen lassen.

Zudem ist der Begriff so schwammig, daß jeder das Seine hineinpacken kann. Es finden sich Leute im gleichen Boot, die eigentlich Antipoden, ja Gegner sein sollten. Es ist bezeichnend, daß auch die gegenwärtige Kampagne gegen den Gipfel in Heiligendamm von NPD und Linkspartei mit fast identischen Argumenten und Kampfmitteln geführt wird. In dem militanten Getöse drohen die vernünftigen Argumente der Globalisierungs-Kritiker ungehört zu verhallen. Die Idealisten werden zwischen den Ideologen zerrieben, wieder einmal.

Wenn man sich gegen die Globalisierung stellt, dann muß man sich auch fragen, was die Alternativen wären. Die NPD nennt die ihren unverblümt: Bewahrung der nationalstaatlichen Ordnung, intakte Völker als natürliche Schutzräume gegen globale Kapitalisten, eine raumorientierte Volkswirtschaft, also Deutschland den Deutschen. Auch die Linkspartei gibt den globalen Kapitalisten die Schuld an Arbeitsplatzverlust und unsicheren Arbeitsplätzen in Deutschland. Die Flexibilisierung der Produktion zerstöre das Gemeinschaftsleben. Die NPD wollte den amerikanischen Präsidenten, als er nach Mecklenburg-Vorpommern kam, verhaften lassen. Die Linkspartei möchte die G8 am liebsten ganz auflösen.

Globalisierung bedeutet für die NPD "Auflösung". Sie sei kein unabänderliches Schicksal, sondern von Menschenhand gemacht. Aus "dem Schlamm von Nützlichkeit und Verwertbarkeit" müsse der Mensch mit seinen Bedürfnissen wieder freigelegt werden. Auch die Linkspartei träumt noch immer von einer anderen Welt, von einer "Weltgesellschaft der Freien und Gleichen". Der Kapitalismus, so das vorläufige Parteiprogramm, dürfe nicht das letzte Wort der Geschichte sein.

Was diese Alternativen zur Globalisierung in der Praxis bedeuten, haben die Völker schmerzvoll erfahren. Das Staatsmodell, das die Neonationalsozialisten wieder erstreben, hat Deutschland und der Welt nichts als Unheil gebracht. Nicht anders das der Weltbeglücker von links. In allen real gewordenen sozialistischen Ländern war die Würde des Menschen immer und jederzeit antastbar, und es gab weder Freiheit noch Demokratie. Noch heute läßt sich der linke Gegenentwurf zur Globalisierung in Nordkorea und in Kuba begutachten. Auch in Venezuela, wo gerade mit einer weiteren Art Sozialismus experimentiert wird, wurde als erstes die Pressefreiheit abgeschafft. Nicht die Isolation, nur die Einbindung in die Gemeinschaft der demokratischen Länder kann den Menschen dort helfen.

Es gibt keine Alternative zur globalen Gemeinschaft, zum demokratischen Austausch von Gedanken, Werten und Waren. Aller Kampf dagegen ist ein Spucken gegen den Wind. Wer möchte schon auf das Internet verzichten, auf die Reise nach Venedig, den Wein aus Südafrika, den Tee aus Assam, die Musik aus Havanna, die Filme aus Hollywood? Die Restauration nationalistischer oder sozialistischer Staatsmodelle hingegen wäre ein Unglück.

Aber natürlich ist unsere gegenwärtige Welt weder ideal noch unveränderlich. Sie birgt ein gewaltiges Potential für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, für universelle Freiheiten und Demokratie. Nur das kann vernünftigerweise das Ziel einer internationalen Ordnungspolitik sein, die den Menschen dient. Die Zivilgesellschaft sollte sie unterstützen, nicht bekämpfen. Sonst bleibt die globalisierte Welt eine Schimäre oder verkommt zur Ideologie.

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