Deutschlandfunk Köln, Die Sonntagskolumne, 2. März 2003

Politische Dummheit

von Konrad Weiß

Wer laut in die Runde nach politischer Dummheit fragt, dem wird alsbald mit einem Wortgeprassel geantwortet werden. Zu Dutzenden werden Politiker aufs Tapet kommen, die Unsinn angerichtet oder sich als unfähig erwiesen hätten. Und vielleicht wird noch der eine oder andere Journalist genannt. Aber eine Spezies wird gewiß nicht dabei sein: die Masse. Denn weil ein jeder dazugehört, mag man sich diesen Spiegel nicht vorhalten. Dabei ist sie es, die die politische Dummheit am ehesten gepachtet hat, die launisch ist und verführbar, der es an Urteilskraft mangelt und an der Fähigkeit, die Folgen des eigenen Tuns zu bedenken. Die Geschichte bietet genug Exempel dafür, und jede Wahl kreiert neue. Weil aber das Volk der Souverän ist, wird auch die schüchternste Kritik an ihm sogleich als Majestätsbeleidigung aufgefaßt und getadelt.

Die politische Dummheit, so scheint es, ist unausrottbar. Sie ist fast immer gepaart mit Ignoranz und ideologischer Verblendung. "Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt", sagt Immanuel Kant, "und einem solchen Gebrechen ist leider gar nicht abzuhelfen." An diesen Satz Kants fühlte ich mich erinnert, als ich mich mit dem Mitteldeutschen Rundfunk und seiner Talkshow Gysi und Späth befaßte. Nun mag es an sich schon eine Dummheit sein, überhaupt eine neue Talkshow ins Fernsehen zu bringen. Aber dafür ausgerechnet Gysi zu verpflichten, das setzt der Dummheit die Krone auf. Gregor Gysi, das nur zur Erinnerung, war jener Abgeordnete, von dem der Deutsche Bundestag als erwiesen festgestellt hat, daß er bis 1986 unter verschiedenen Decknamen dem Staatssicherheitsdienst der DDR inoffiziell zugearbeitet hat. Der MDR hat sich zwar schon vor Jahren verpflichtet, ehemalige Stasispitzel nicht mehr auf den Sender zu lassen. Aber wahrscheinlich hat der Intendant längst den Überblick verloren.

Doch die Sache stinkt noch aus einem anderen Grund. Denn die Show mit Gysi und Späth wird von der Firma TV21 produziert, deren Geschäftsführerin laut Handelsregister die Journalistin Sabine Baltz ist. Als Sabine Christiansen befragt sie allsonntagabendlich mit einer gewissen moralischen Attitüde ihre politischen Gäste. Daß sie im Zweitberuf Gysi promotet, der aktiv und verantwortlich am Unrecht in der DDR beteiligt war - ist das nun Geldgier, Ignoranz oder politische Dummheit? Oder politische Naivität? Auch die ist eine Facette der politischen Dummheit. Sie ist zwar lästig, aber man darf immerhin hoffen, daß sie sich legt.

Mit der politischen Dummheit der Massen hingegen ist es wie mit dem Wetter, sie bleibt unberechenbar. Und ebenso wie beim Wetter ist eines gewiß: daß sie sich irgendwann in ein Unheil entlädt. Damit haben ja gerade wir Deutschen unsere Erfahrungen gemacht. Aber manch einem genügen die bitteren Lektionen offenbar immer noch nicht.

Die Demonstrationen vom 15. Februar sind ein Beispiel dafür. Aufgerufen hatte zu den Veranstaltungen ein Trägerkreis von etwa vierzig Organisationen, darunter die GBM, die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde. Dieser Verein mit dem unverfänglichen Namen ist der Dachverband verschiedener Nachfolgeorganisationen von SED- und Stasi-Strukturen. Dazu gehören unter anderen auch das Insiderkomitee und ISOR, die Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe der DDR. Die ISOR ist strukturell und funktionell der HIAG vergleichbar, die nach dem Krieg die Interessen der Waffen-SS vertrat. Im Insiderkomitee haben sich ranghohe Angehörige des Staatssicherheitsdienstes zusammengefunden, Generalleutnants, Generale und Obristen, die bis heute den totalitären Sozialismus der DDR verteidigen. Es sind dieselben Leute, die in der DDR die unabhängige Friedensbewegung bekämpft und jene verfolgt und eingesperrt haben, die sich darin engagierten. Das Tragen des Symbols Schwerter zu Pflugscharen genügte damals, um von der Schule relegiert oder vom Studium ausgeschlossen zu werden.

Ob die Friedens-Massen wohl geahnt haben, wer da bei ihnen am 15. Februar in Reih und Glied mitmarschiert? Und ob es sie wirklich gestört hätte? Die Organisatoren hätten es wissen müssen, und von einigen weiß ich: Sie haben es gewußt. Sie haben die GBM mit ihren militaristischen Altlasten trotzdem im Trägerkreis geduldet. - Im Leben mag Dummheit zuweilen charmant sein, im Politischen ist sie nur destruktiv. Schon vor achtzig Jahren schrieb Carl von Ossietzky den Friedensfunktionären ins Stammbuch: "Der Pazifismus muß politisch werden und nur politisch". Er hat nicht geahnt, wie langlebig die politische Dummheit ist.

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