Deutschlandfunk, 2. April 2006

Was ist uns unsere Demokratie wert?

Kritische Anmerkungen zur Diskussion um die Diäten der Abgeordneten

von Konrad Weiß

Die alljährliche Debatte über die Entschädigung der Abgeordneten scheint so unvermeidlich zu sein wie der Wechsel der Jahreszeiten und sucht uns mit derselben Regelmäßigkeit heim. Auch jetzt wieder, da der Bundestag, wie es seine Pflicht ist, über die Festsetzung der Diäten berät, schlagen die Wogen der Volksempörung hoch. Der Fernsehsender n-tv befragte dieser Tage seine Zuschauer, was sie von einer Erhöhung der Abgeordnetenbezüge halten. 96 Prozent sprachen sich dagegen aus. Auch in der Bild-Zeitung, und nicht nur dort, ist das Geld der Abgeordneten ein Dauerbrenner.

Die eine, entscheidende Frage aber stellt kaum jemand: Was ist uns unsere Demokratie wert? Ein Abgeordneter, so will es das Grundgesetz, soll an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und allein seinem Gewissen unterworfen sein. Er habe einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, die diese Unabhängigkeit sichert. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor Jahren ergänzt, daß die Entschädigung dem Abgeordneten eine Lebensführung gestatten müsse, die der Bedeutung seines Amtes angemessen ist. Als Orientierungsgröße wurden die Bezüge eines Obersten Richters oder eines hohen Bundesbeamten festgelegt. Da der Bundestag in den letzten vier Jahren auf eine Diätenerhöhung verzichtet hat, liegt die Entschädigung der Abgeordneten mittlerweile deutlich unterhalb dieser Richtgröße.

Alle Einzelheiten, auch die der Altersversorgung, sind im Abgeordnetengesetz festgelegt und für jedermann einsehbar. Es gibt keine andere Berufsgruppe, deren Einkünfte so transparent gemacht sind. Jeder würde es als Zumutung empfinden, wenn er sein Einkommen so offenbaren müßte wie die Mitglieder des Bundestages. Wie aber kommt es, daß dennoch so abenteuerliche Vorstellungen kursieren, und die Diäten häufig das einzige sind, was am Parlament interessiert?

Es mag ein Mangel an demokratischer Kultur sein, eine Geringschätzung der parlamentarischen Demokratie, ein irrationaler Neid, der von populistischen Professoren und Medien noch gefördert wird. Aber es ist auch blanke Unwissenheit über die parlamentarische Arbeit. Kaum jemand weiß und will wissen, wie viele persönliche Opfer und Abstriche an Familienleben und Freizeit ein Mandat mit sich bringt. Welche Belastung die ständige Präsenz in der Öffentlichkeit und die stets überlangen Arbeitswochen bedeuten.

Andererseits ist nachvollziehbar, wenn die Diäten einem "Normalverdiener" als überzogen erscheinen mögen. Was dabei nicht gesehen wird ist, daß auch Abgeordnete ihre Einkünfte voll versteuern müssen. Aber anders als jeder andere Steuerbürger, können sie Werbekosten nicht absetzen. Dafür steht ihnen zwar eine Kostenpauschale zu, von der alle mandatsbedingten Unkosten zu bestreiten sind. Aber bei den wenigsten reicht das für die notwendigen Ausgaben im Wahlkreis und im Abgeordnetenbüro aus. Schließlich haben Abgeordnete, die nach einigen Jahren ausscheiden, oft erhebliche Probleme, wieder in ihrem Beruf Fuß zu fassen. Da sie sich nicht, wie jeder andere Arbeitnehmer, gegen Arbeitslosigkeit versichern können, müssen sie dafür persönlich vorsorgen.

Doch es gibt durchaus auch kritische Punkte bei der Entschädigung der Mandatsträger. Für viele ist es ein Ärgernis, daß die Abgeordneten über die Höhe ihrer Diäten selbst entscheiden. Es gibt Überlegungen, dies einer unabhängigen Kommission zu übertragen. Das Dilemma, daß der Bundestag dennoch der Gesetzgeber ist und bleibt, der das letzte Wort haben muß, läßt sich so allerdings auch nicht beseitigen. Ein anderes Problem ist die sogenannte Parteisteuer, die in fast allen Fraktionen üblich ist. Das heißt, vom Abgeordneten wird erwartet, daß er einen erheblichen Teil seiner Diäten regelmäßig an seine Partei abführt. Das ist nicht nur eine verdeckte, illegale Form der Parteienfinanzierung, sondern schränkt vor allem die gebotene Unabhängigkeit der Abgeordneten ein.

Das Parlament soll möglichst ein lebendiges Abbild der Gesellschaft sein. Eine Konsequenz dessen ist, daß nicht jeder Abgeordnete den hohen Anforderungen gerecht werden kann oder will. Wie in jeder anderen sozialen Gruppe, gibt es natürlich auch unter Parlamentariern immer einige, die unfähig oder faul oder geldgierig sind. Nicht jeder erkennt die moralische Verpflichtung, die das Mandat gebietet. Daß in der Linksfraktion nicht nur Stasispitzel geduldet werden, sondern jetzt ein Abgeordneter gar als Vermieter eines Bordells überführt wurde, wirft schon die Frage auf, wie ernst es diesen Leuten mit den Werten der Demokratie ist. Aber auch die Unbekümmertheit, mit der sich Altkanzler Gerhard Schröder von der SPD, kaum daß er aus dem Amt geschieden ist, seine Insiderkenntnisse von der Wirtschaft vergolden läßt, verstößt gegen gute parlamentarische Sitten. Solche Affären untergraben nicht nur das Ansehen des Parlaments, sondern tragen auch zur Demokratie-Verdrossenheit bei.

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