Deutschlandfunk Köln, Die Sonntagskolumne, 4. Januar 2004

Angst ist ein schlechter Ratgeber

von Konrad Weiß

In Deutschland ist etwas anders geworden, seitdem die rotgrüne Koalition an der Macht ist: In Deutschland macht sich Angst breit: Die Angst des Staates vor seinen Bürgern, die Angst der Mächtigen vor dem Souverän, die Angst der Regierenden vor dem Verlust der Macht. Das erinnert fatal an die Jahre vor dem Ende der DDR, als die SED-Machthaber auch versuchten, ihre Haut durch immer neue Lügen und Repressalien zu retten. Und nun agieren deutsche Politiker wieder nach diesem Muster. Der wirtschaftliche Niedergang wird dreist als Modernisierung schöngeredet, der Sozialabbau wird zur Reform umgelogen. Und fast wöchentlich kommen neue Vorschläge auf den Tisch, wie die Bürgerrechte noch mehr zu beschneiden und einzuengen seien. Wer vor zwei Jahren glaubte, schlimmer als mit Schilys Sicherheitspaketen könne es nicht kommen, hat sich gehörig geirrt.

Erst in der letzten Woche wurden Pläne bekannt, künftig den Autoverkehr flächendeckend zu überwachen. An den Verkehrsknotenpunkten sollen Kameras installiert werden, die die Kennzeichen aller vorbeifahrenden Kraftfahrzeuge erfassen und digitalisiert an Fahndungscomputer weiterleiten. Damit soll ein schneller Zugriff auf Fahrzeuge, die zu einer Straftat benutzt wurden, möglich werden. Zwar sollen alle anderen Daten umgehend wieder gelöscht werden. Aber da niemand genau weiß, wann und wo er erfaßt worden ist, kann er auch die Löschung seiner Daten nicht überprüfen. Zu Recht weist Peter Schaar, der neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz, darauf hin, daß mit solchen Erfassungsgeräten und ihrer Vernetzung eine Infrastruktur aufgebaut würde, die weit tiefer gehende Eingriffe ermöglichte. Dies sei Ausdruck einer allgemeinen Tendenz, personenbezogene Daten schon im Vorfeld zu erfassen, auch von Menschen, die in keiner Weise unter Verdacht stehen. Das sind Methoden, man muß es klar aussprechen, wie sie in totalitären Staaten üblich sind. Zu einem demokratischen Rechtsstaat passen sie nicht.


Protest gegen Videoüberwachung in Jena, Zoonar Foto 1034807 © Konrad Weiß
Protest gegen Videoüberwachung in Jena

Das Schlimme ist, daß die Vorbereitungen für die flächendeckende Erfassung motorisierter Verkehrsteilnehmer längst laufen. Ohne Rücksicht auf die vom Grundgesetz garantierten Bürgerrechte, ohne Prüfung der Rechtsgrundlagen und ohne parlamentarische Kontrolle wurden die technischen Voraussetzungen geschaffen und in einigen CDU-regierten Bundesländern bereits erprobt. Wer im vergangenen Jahr in Hessen, in Bayern oder Thüringen mit dem Auto unterwegs war, ist möglicherweise bereits von solchen Überwachungskameras erfaßt worden; seine Daten wurden von Polizeicomputern überprüft, vielleicht wurden sie gespeichert oder es wurden Bewegungsprofile erstellt - wer kann das schon wissen bei derartigen Maßnahmen, die willkürlich und ohne Rechtsgrundlage ausgeführt worden sind.

Ein anderes aktuelles Beispiel für einen schwerwiegenden Eingriff in Bürgerrechte ist das neue Telekommunikationsgesetz, das die rotgrüne Bundesregierung im Herbst vorgelegt hat. Demnach sollen künftig alle beim Telefonieren, Surfen oder Mailen entstehenden Verkehrsdaten unverkürzt sechs Monate lang gespeichert werden, also auch die vollständigen Zielrufnummern. Außerdem soll der Polizei, den Strafverfolgungsbehörden oder Nachrichtendiensten der Zugriff auf Paßwörter oder PINs ermöglicht werden, mit denen im Telefonverkehr oder im Internet persönliche Inhalte geschützt werden. Nach Vorstellung der Bundesregierung soll für die Herausgabe und Verwendung dieser sensiblen Daten weder die Bindung an einen Straftatbestand noch ein richterlicher Beschluß erforderlich sein. Gegen den Entwurf haben sich zwar die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern gewandt und den Bundestag aufgefordert, diese Änderungen nicht zuzulassen.

Doch daß die rotgrüne Bundesregierung ein solches Gesetz überhaupt erarbeitet und verabschiedet hat, ist skandalös genug. Vor wenigen Jahren noch waren die Grünen überaus sensibel, wenn es um Belange des Datenschutzes ging. Und auch die SPD ist als Oppositionspartei im allgemeinen nachdrücklich für die Wahrung der Bürgerrechte eingetreten. Wie diese Parteien jetzt mit den Bürgerrechten umgehen, ist irrational, unberechenbar und trägt totalitäre Züge. Ihre Angst vor dem Machtverlust scheint inzwischen stärker zu sein als der Respekt vor dem Grundgesetz und den Rechten der Bürger. Angst, so sagt der Volksmund, ist ein schlechter Ratgeber. Das gilt ohne Zweifel auch für die Politik.

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